Wie pflegende Angehörige mehr Hilfe erhalten
Die Pflege von Angehörigen ist anspruchsvoll und fordernd. Viele Betroffene stoßen dabei immer wieder an ihre Grenzen oder überschreiten diese auch oft, weiß Mirela Rapp: "Ich habe schon Menschen zusammenbrechen sehen, weil sie aufgrund der Pflegesituation wochen- oder monatelang nicht richtig schlafen konnten", berichtet sie im Gespräch mit dieser Redaktion. Die Pflegekassen bieten unterschiedliche Formen der Unterstützung an, doch ihrer Erfahrung nach werden viele davon nicht in Anspruch genommen.
Viele pflegende Angehörige rufen nicht die Leistungen der Pflegekasse ab, die ihnen zustehen. Woran liegt das?
Rapp: Sehr viele Menschen wissen überhaupt nicht, worauf sie Anspruch haben. Eine Studie aus Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2024 zu teilstationären Angeboten hat ergeben, dass rund 80 Prozent der Befragten nicht wussten, was ihnen alles zusteht. Viele dachten auch, dass bestimmte Leistungen vom Pflegegeld abgezogen werden, was aber nicht stimmt.
Welche weiteren Ursachen gibt es?
Rapp: Laut einer Studie von TNS Infratest Sozialforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit von 2011 zu Auswirkungen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes sind 75 Prozent der Pflegenden weiblich. Sehr häufig habe ich es mit Frauen zu tun, die ihren Mann oder Familienangehörige pflegen. Sie gehören zu einer Generation, die anderen nicht zur Last fallen will. Zudem fördert eine gewisse Scham die Hemmschwelle, Unterstützung zu beantragen. Und dann kommt es auch vor, dass der bürokratische Aufwand die Betroffenen schlicht überfordert. Viele pflegende Angehörige kommen erst sehr spät zu uns. Die Belastungen durch die Pflege haben meist allmählich zugenommen, sodass die Betroffenen häufig gar nicht wahrnehmen, welche Bürde sie seit Jahren tragen.
Der Medizinische Dienst der Krankenkassen, der die Einstufung des Pflegegrads vornimmt, könnte die pflegenden Angehörigen doch beraten. Oder nicht?
Rapp: Der Medizinische Dienst ist nicht verpflichtet, Angehörige zu informieren oder zu beraten. Es kann durchaus sein, dass Angehörige informiert werden, ich habe aber den Eindruck, dass dies nicht oder zumindest nicht ausreichend geschieht. Als Betroffener muss ich mir die Beratung aktiv einholen.
Ein Pflegedienst freier Wahl führt mindestens zweimal im Jahr Beratungseinsätze durch. Warum informiert dieser nicht über unterstützende Leistungen?
Rapp: Der Pflegedienst hat einen sehr großen Fragenkatalog, um festzustellen, ob die häusliche Versorgung ausreichend gewährleistet ist. Dabei ist der Pflegebedürftige im Fokus. Es wird bestimmt auch erwähnt, dass es so etwas wie Tagespflege oder Verhinderungspflege gibt, aber für eine gründliche Beratung bleibt keine Zeit. Da viele pflegende Angehörige im fortgeschrittenen Alter sind, muss man vieles zwei- oder dreimal erklären. Ein Beratungsgespräch zum Thema Leistungen kann bei mir bis zwei Stunden dauern.
Wer hilft pflegenden Angehörigen beim Ausfüllen von Anträgen?
Rapp: Der Pflegestützpunkt im Landratsamt hilft kostenfrei und neutral beim Ausfüllen von Anträgen. Auch die Caritas bietet eine kostenfreie Beratung, allerdings weisen wir bei der Tagespflege auf unsere Einrichtungen hin. Außerdem gibt es seit Kurzem den gerontopsychiatrischen Beratungsdienst, der gemeinsam vom Caritasverband und der Diakonie Baden-Baden und Rastatt getragen wird. Er berät vor allem Menschen mit Demenz und deren Angehörige.
Welche Leistungen stehen pflegenden Angehörigen im Einzelnen zu?
Rapp: Ich möchte die fünf größten Töpfe benennen, aus denen Pflegebedürftigen Leistungen zustehen. Am meisten beansprucht wird der Topf, aus dem Pflegegeld, Pflegesachleistungen und der Pflegedienst bezahlt werden. In Topf zwei sind die teilstationären Pflegeleistungen mit Beträgen, die zwischen 721 und 2.085 Euro pro Monat betragen. Hier gibt es allerdings die erste Hürde, dass man einen mehrseitigen Antrag ausfüllen muss. Zweitens ist es schwierig, überhaupt eine Einrichtung zu finden. Im dritten Topf gibt es bereits ab Pflegestufe 1 einen monatlichen Entlastungsbetrag von 131 Euro, um damit einen Betreuungsdienst, Hauswirtschaftsdienst oder die Eigenanteile an der Tagespflege oder Kurzzeitpflege zu bestreiten. Für die Kurzzeitpflege gibt es 1.854 Euro pro Jahr und für die Verhinderungspflege jährlich 1.685 Euro. Alle Leistungen können zusammen in Anspruch genommen werden.
Was steckt hinter dem Begriff Verhinderungspflege?
Rapp: Wenn ein Angehöriger verhindert ist, und ein pflegebedürftiges Familienmitglied nicht versorgen kann, weil er selbst erkrankt ist oder wichtige Verpflichtungen hat, dann ist eine Ersatzperson erforderlich. Hierfür bedarf es nicht immer einer Pflegefachkraft. Es können auch Verwandte, Freunde oder Nachbarn einspringen, deren Arbeitszeit von der Pflegekasse vergütet wird. Es ist problematisch, wenn bei der Pflege immer alles an einer Person hängt. Die Verhinderungspflege ist wie ein Ass im Ärmel, das ich im Notfall herausholen kann. Deshalb sollten sich Betroffene vorausschauend darum kümmern.
Was sollte hinsichtlich der Beratung verbessert werden?
Rapp: Hier sehe ich den Gesetzgeber in der Pflicht, der Anlaufstellen schaffen sollte, die nicht nur beraten, sondern auch beim Ausfüllen der Anträge helfen. Andernfalls wäre es dringend notwendig, die Anträge deutlich zu vereinfachen. Das Ziel ist doch, dass Pflegebedürftige daheim versorgt werden, was ja viel günstiger ist als ein Platz im Pflegeheim.
Kontakt
Einen Überblick über Leistungen, die pflegenden Angehörigen zustehen, bieten folgende Stellen:
Caritasverband Landkreis Rastatt: 07222 775700, Montag bis Freitag von 8.30 bis 17.30 Uhr.
Gerontopsychiatrischer Beratungsdienst: Vildana Kadic vom Caritasverband (0174 3818090) oder Eva-Maria Weida von der Diakonie (01520 9324415).
Pflegestützpunkt des Landkreises Rastatt: 07222 3812152